Leserbrief von Joachim Paul an die Rhein-Zeitung, Antwort auf den Kommentar von Hilko Röttgers (10. November 2017)

Der Kommentar führt ein merkwürdiges Demokratieverständnis spazieren, das gerade dem Gedanken des Schulbesuchstags, den Schülern Demokratie als lebhaften Wettstreit der Ideen zu zeigen, ad absurdum führt. Zu den Fakten: Viele Schulleitungen versuchten Vorträge von Abgeordneten der AfD zu verhindern – die einen begründeten ihre Absicht, andere reagierten einfach nicht auf Anfrage. Sie gewährten aber ihnen genehmen anderen Abgeordneten den Zutritt. Klipp und klar: Die Staatsgewalt geht vom Volke aus, nicht von Schulleitungen und Lehrerkollegien.

Das Volk wählt Abgeordnete, die das Recht haben vor jungen Bürgern zu sprechen und sich zu informieren. Direktoren haben kein „Pickrecht“, ihre Privatmeinung über eine Partei ist hier unwichtig. Sie sind vielmehr, gerade als Landesbeamte, zur politischen Neutralität verpflichtet. Darüber hinaus gebietet es der Beutelsbacher Konsens, dass Themen, die in der Gesellschaft kontrovers diskutiert werden, den Schülern auch so vermittelt werden. Die Schüler haben das Recht sich ohne Vorauswahl von oben aus erster Hand zu informieren. Und das geht nur, wenn man auch die Abgeordneten der drittstärksten Kraft einlädt und den Schülern die Möglichkeit gibt, kritische Fragen zu stellen. Auch zu Zitaten von AfD-Politikern. Diese Problematik blendet Hilko Röttgers lapidar aus. Stattdessen wird versucht, den Alleingang eines weisungsgebundenen Direktors, der sich nicht zu schade ist, Beifall heischend Schulaktivitäten aufzuzählen, moralisch zu überhöhen und der Kritik zu entziehen. Das ist besonders fragwürdig, weil die Opfer des NS-Regimes nicht einfach so zur Rechtfertigung einer weitgehend einsamen Entscheidung, die in einer warmen Dienststube getroffen wurde, reklamiert werden können. Weder der Direktor des Megina-Gymnasiums (Mayen) noch ein Journalist kann für sich beanspruchen, für alle oder viele Opfer zu sprechen. Ihre Biografien in der tagespolitischen Auseinandersetzung demokratischer Parteien nach eigenem Gutdünken auszulegen, ist anmaßend und unangemessen. Der 9. November erinnert uns, dass in einer Demokratie der Respekt vor Wahlergebnissen selbstverständlich ist. Alle Parteiprogramme, alle Politiker-Zitate müssen stetig hinterfragt werden, weil sie in einer pluralistisch denkenden Gesellschaft als nur mangelhafte Annäherungen an die Wahrheit betrachtet werden können. Und gerade Schulen müssen Orte dieser Auseinandersetzung sein.

Joachim Paul, Stadtrat und MdL